Frontal

Das abendliche Licht ist so eigenartig wie der ganze Tag.

Ich bleibe kurz stehen, als ich aus der Tür komme, weil mich die Stimmung fasziniert.
Die Bäume sind mit rot beleuchtet und strahlen klar, man erkennt jedes Blatt. Dahinter breitet sich ein breiter Streifen blauer Himmel aus, der viel verspricht. Direkt über mir drückt eine graue Decke, finster, wolkig, fast schwarz. Und die ist wie abgeschnitten kurz über den Häusern. Zwischen dem Schnitt und den Wolken macht sich die Sonne breit und verströmt ihren roten und goldenen Glanz, kämpft gegen den Untergang und versteckt sich dann doch hinter den Kanten der plötzlich so abweisenden Gebäude.

Als ich aus dem Fenster meines Zimmers schaue, leuchtet direkt davor ein Baum in voller Blütenpracht. Noch letzte Woche war dieser fast schwarz, irgendwie verschlafen, unscheinbar und so gar nicht auf Frühling eingestellt. Sonnenlichtkitzeln und das Osterwochenende haben hier die Strassenbäume und Gärten aufblühen lassen, manchmal steht mitten auf einem Parkplatz plötzlich ein knallrosa sprühender Baum und behauptet sich gegen die Blechkisten darunter.

Mir war der Tag suspekt. Der Start war angespannt und es ging natürlich einges schief. Und dann eine Nachricht im Projekt, die alle mehr oder weniger geschockt hat.

82-jähriger Geisterfahrer kommt einem unserer Projektmitarbeiter entgegen. Ohne Bremsung, ohne Ausweichen, Frontalzusammenstoß mit tödlichen Folgen. Die jungen Leute sind geschockt und irritiert. Heute geht so gar nichts weiter. Das Tagesgeschäft ist nicht alltäglich so plötzlich, weil da eine markante Stimme fehlt, Humor, den man manchmal nicht ernst nehmen durfte und viel, viel Können und Wissen, das so plötzlich fehlt. Man denkt, er kommt jeden Moment um die Ecke. Er wird nie wieder kommen.

Ich schließe den Abend bei einem Glas Wein und Caprese ab. Zur Ruhe kommen, Besinnung auf das Wesentliche und Sehnsucht nach dem Mann, den ich liebe. Freitag Abend. Werde ich ihn sehen. Vielleicht scheint dann die Sonne auch wieder in ihrem Rotgold und begleitet uns in einen gemeinsamen Abend im Frühlingsgarten.


731 Tage – 71 Tage = 660

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