Liebe Evi,
dies ist ein Brief, der so lang in meinem Kopf gelegen hat, dass er Dich nicht mehr erreicht hat.
Ich glaube nicht an Gott oder Wiedergeburt, aber ich habe die Hoffnung, dass die Gedanken, die ich festgehalten habe, Dich doch noch irgendwie erreichen und begleiten. Die letzten Monate habe ich so intensiv erlebt und über Dich erfahren, wie viele Jahre vorher nicht.
Es ist schon eigenartig, Du warst immer da. Immer da, wenn wir Kinder uns beim von der Schaukel springen die Knie aufgeschürft haben, warst da, wenn wir das ganze Bad vom Opa so überschwemmt haben und dann glückselig in das weiche Handtuch eingekuschelt wurden vorm ins Bett gehen. Warst da, als ich meine schlimmsten Verluste erlitten habe – hast mich angerufen, mich getröstet, mich ermutigt weiterzumachen. Du warst immer da und für mich immer verbunden mit dieser schönen Stadt. Bautzen und Du – Ihr wart für mich eine feste Größe.
Viele Jahre durfte ich nicht zu Dir, konnte nur über Umwege mit Dir sprechen. Mutti hat mir viel von Dir erzählt, sie hatte in Dir immer ihre zweite Hälfte. Du warst für sie wichtig, sie hat sich Rat geholt, sie hat sich mit Dir gefreut, hat mit Dir gelitten, hat mit Dir geweint und gehofft. Sie wollte Dich stark machen und hat Dich doch auch in ihre Arme genommen. Manchmal denke ich, Du warst die Stärkste von uns allen – Du hast die meiste Kraft für Dein Leben gebraucht und Du hast immer viel Kraft für alle andere abgegeben.
Du hast die letzten Monate deines Lebens auf der einen Seite genießen können, hast Dir Wünsche erfüllt, die klein aber umso drängender waren. Auf der anderen Seite war die Krankheit in den letzten Monaten für Dich die größte Last Deines Lebens. Ich bewundere, wie Du damit umgegangen bist.
Du hast viel gelacht und gelächelt. So viel wie viele Jahre nicht. Du hast Deine Kinder zum zusammen reden gebracht. Einig sind sie sich nicht, aber sie haben wenigstens wieder miteinander gesprochen. Du hast die Hochzeit Deiner Enkelin erleben dürfen, auf den Fotos siehst Du glücklich aus, sehr glücklich und zufrieden. Da hat eine etwas getan, was Du Dir gewünscht hast: Unabhängigkeit, Selbständigkeit, Freude am Leben, eine liebevolle Familie, Vertrauen und Gemeinsamkeit. Ich freue mich so sehr, dass Du das noch erleben konntest und weißt, dass es das in Deiner Familie gibt.
Liebe Evi, als ich erfahren habe, dass Du den Kampf verloren hast, war das nachhallende Echo: Krebs ist ein Arschloch. Zeilen in einem Tweet, so krass und hart und deshalb genau das, was ich gefühlt habe. In dem Moment hatte ich keine Tränen.
Du bist die zweite Hälfte von meiner Mum. Du fehlst ihr. Was kann ich tun ? Hast Du einen Rat für mich ?
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